What’s going on in Germany? – Ein Corona-Kommentar
23.03.2021
„Was ist denn in Deutschland los? Wieso kriegt Ihr das Impfen nicht hin?“ fragen sich derzeit viele Amerikaner. Im letzten Jahr wurde unser Land in den USA noch als Vorbild im Umgang mit Corona gefeiert und Angela Merkel war in den Augen der Demokraten und der linksliberalen Medien die verehrungswürdige Gegenspielerin von Donald Trump. Diese Bewunderung scheint verflogen. Die USA blicken laut Korrespondentenberichten jetzt mit erheblichem Erstaunen auf die Impfsituation in Europa und Deutschland. In Großbritannien haben über 40 Prozent der Erwachsenen die erste Impfung erhalten, in den USA gut 25 Prozent, in Deutschland sind es ca. 9 Prozent. Und es geht nicht nur um das Impfen. Beim letzten Beschluss von Bundesregierung und Ländern am 3. März wurde eine umfassende Testkampagne mit Selbsttests für die Bürgerinnen und Bürger, die Schulen und die Unternehmen angekündigt, die aber auch nicht ins Laufen kommt.
Joe Biden hat vor diesem Hintergrund etwas undiplomatisch an seine Landsleute appelliert „Bitte lassen Sie nicht geschehen, was in Europa passiert!“. Nun, Deutschland und Europa werden nicht untergehen und das Blatt kann sich auch schnell wieder wenden, aber es lohnt sich doch, einen Blick darauf zu werfen, warum hier manches in Deutschland und Europa nicht gut läuft. Mehrere spezielle und allgemeine Faktoren werden immer wieder genannt:
Der zentrale Beschaffungsprozess über die EU:
Dieser kann aber auch als Errungenschaft angesehen werden. Man stelle sich vor, was passiert wäre, wenn jedes EU-Land einen eigenständigen Beschaffungsprozess durchgeführt und sich die Länder eine blutige Schlacht um die Bestellungen geliefert hätten? Es sprach viel für den gemeinsamen Beschaffungsprozess, aber er hat nicht optimal funktioniert.
„Bürokratie, Unflexibilität und Risikoscheue“:
Wahrscheinlich nicht ganz zu Unrecht. Zum Beispiel, wenn in den Altenheimen Senioren, obwohl bereits zweimal geimpft, immer noch kaum ihre Zimmer und das Haus verlassen dürfen. Es fehlten noch entsprechende klare Richtlinien der Behörden, rechtfertigen sich Heimbetreiber. Oder wenn übrig bleibender Impfstoff lieber nicht verimpft wird, statt die Impfreihenfolge zu durchbrechen.
In diesem Zusammenhang wird auch die Festlegung auf den Inzidenzwert als entscheidendes Kriterium zunehmend kritisiert, wie von der Covid-19 Data Analysis Group der Universität München oder vom Deutschen Städtetag. Es müssten auch andere Größen beachtet werden, etwa wie viele Covid-Erkrankte im Hospital und welche Altersgruppen primär betroffen seien oder wie die Sterblichkeit und der R-Wert (wie viele Personen ein Infizierter im Mittel in einer bestimmten Zeit ansteckt) aussähen. „Eine intelligente und reiche Industrienation wie wir sollte doch in der Lage sein, differenziertere Lösungen zu finden“, klagte der Virologe Alexander Kekulé. Der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman rieb Salz in die Wunde und konstatierte laut WELT, diese Fehler seien keine Einzelfälle, sondern beruhten auf grundlegenden Mängeln in den Institutionen und Einstellungen in Europa, zum Beispiel einer „bürokratischen und intellektuellen Unbeweglichkeit“, wie sich schon in der EURO-Krise gezeigt habe. Außerdem sei die EU zu risikoscheu.
Profilierung mit „großen Themen“ statt die Kärrnerarbeit zu machen:
Dieser ähnlich grundsätzliche Vorwurf wird immer wieder gegen Deutschland erhoben, nämlich, dass es sich lieber auf die großen Themen fixiere und sich als „Weltenretter“ geriere, zum Beispiel in der Klimarettung, der Flüchtlingspolitik, dem Kampf gegen Rassismus, dem Alleingang im Atomausstieg, usw.. Die Dinge im Kleinen würden dagegen vernachlässigt: die Digitalisierung stolpert voran, es gelingt nicht einen Flughafen zu bauen, die Verkehrsmaut ist ein Fiasko, das Schulsystem eine ewige Baustelle, …..
Kanzlerin Merkel versuchte am Freitag Vertrauen zurückzugewinnen, versprach mehr Tempo beim Impfen und dass die bewährte deutsche Gründlichkeit nun um mehr Flexibilität ergänzt werde. Die Devise laute jetzt: „Impfen, Impfen, Impfen“, so die Kanzlerin. Jedenfalls haben sich Kanzlerin Merkel und die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten nach den bisher längsten Covid-Verhandlungen heute Nacht geeinigt, den großen Lockerungsfahrplan vom 3. März mit Wirkung bis zum 18. April zu erheblichen Teilen wieder zu kassieren – mit „Ruhetagen“ über Ostern.
Die Frage muss gestellt werden, ob dies nun wirklich so nötig war. Am 8. März öffnen und weitere Öffnungsschritte ankündigen und zwei Wochen später alles wieder zurückdrehen. Nicht ganz so wohlwollende Zeitgenossen warfen der Regierung schon bald nach dem Verkünden des Öffnungsfahrplanes am 3. März vor, dass das Beschlossene, wohlwollend formuliert, eine „Beruhigungspille“ für die Bevölkerung sei, denn es sei auch den Regierenden klar gewesen, dass die Öffnungsschritte zwei und drei im Fahrplan in keinem Fall zur Anwendung und es eher wieder zu Verschärfungen kommen werde. Der massive Anstieg der Neuinfektionen durch die Mutationen sei klar absehbar gewesen.
Auf diese Weise wird es schwierig sein, das Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern und den Unternehmen wieder herzustellen.
Europäisches Wirtschaftsforum e.V. - EWiF Deutschland,